Die jüdische Gemeinde in Berlin wuchs als Folge der Migration jüdischer Familien aus Russland (Pogrome 1881, 1882, 1905), Galizien, Ungarn, Polen und weiteren Ländern auf 170.000 Mitglieder an. Die Dragonerstraße bildete zusammen mit der parallel verlaufenden Grenadierstraße das Zentrum eines "Ghettos mit offenen Toren" der osteuropäischen Juden in Berlin. Das Scheunenviertel war der zentrale Anlaufpunkt und stand von Beginn der Machtergreifung der Nationalsozialisten an im Mittelpunkt des antijüdischen Terrors in Berlin. Am 9. März 1933 marodierte die SA durch das Scheunenviertel und misshandelte mehrere osteuropäische Juden in den Kellern ihrer Stationen. Am 1. April fand der sogenannte Judenboykott statt, noch im selben Monat folgte eine Razzia der Schutzpolizei und der nationalsozialistischen Hilfspolizei im Viertel statt. Bereits im April 1933 wurden erste jüdische Bewohner infolge des Judenboykotts in rudimentäre Konzentrationslager gebracht.
Moses und Cyrla Steinberg lebten spätestens seit 1925 mit ihren Kindern in Berlin (dem Geburtsjahr ihres Sohns Bernhard) und seit 1931 im Berliner Scheunenviertel in der Dragonerstraße 6a (heutige Max-Beer-Straße 35 (41)) an der nordwestlichen Ecke der Kreuzung Schendelgasse (heute Schendelpark). Die Familie Steinberg wurde ein Opfer der ersten Verfolgungswelle 1933. Moses Steinberg wurde von der SA schwer misshandelt, wahrscheinlich auch weil er als u.a. im Vorstand des Jüdischen Kulturbundes präsent gewesen ist.
Kurze Zeit später, im Sommer 1933, verließ die Familie Berlin in Richtung Polen aus Furcht vor weiteren Misshandlungen durch die Nazis. Der Austritt ihres Sohns Bernhard aus der Schule ist mit dem 4. September 1933 auf seiner Schülerkarte datiert und mit dem Kommentar "unbekannt verzogen" versehen. Als letzte Berliner Adresse gab Bernhard später die Rykestraße 20 an. Diese Adresse befand sich zwei Blocks von der damaligen Wohnung von Cyrlas Bruder Chaim Solny und seiner Familie in der Franseckystraße 46 (heute Sredskistraße 39) entfernt und lag außerhalb des Scheunenviertels. Allerdings findet sich die Rykestraße als Meldeadresse der Steinbergs weder in einer der Ausgaben des Berliner Adressbuchs, noch in anderen zeitgenössischen Dokumenten. Wahrscheinlich fungierte diese Adresse als Zwischenstation auf der Flucht – erst verließ man das Ghetto , wenige Monate später schließlich Berlin und Deutschland. In dem Fall wäre Dragonerstraße 6a der letzte freiwillige Wohnort der Steinbergs in Berlin. Im Berliner Adressbuch von 1934 ist Moses Steinberg dann nicht mehr verzeichnet.
Auf dem Einlieferungsschein Selis im KZ Stutthof ist "Aleja 1 Maja 37" als letzte Adresse angegeben. Dies ist eine Straße im Zentrum von Łódź im Stadtteil Stare Polesie außerhalb des späteren Ghettos – und gleichzeitig die erste vorherige Adresse, welche in den späteren Ghetto-Bewohnerlisten auftaucht. Ob es die einzige oder nur die letzte selbstgewählte Adresse in Łódź nach der Flucht aus Deutschland war, ist unbekannt.
Nachdem Moses Steinberg bereits 1940 in Łódź eines natürlichen Todes gestorben war, wurden Mutter Cyrla, Sohn Bernhard und Tochter Seli, wahrscheinlich alle drei zusammen, am 1. April 1940 in Łódź verhaftet und in das dortige Ghetto überstellt. Danach verliert sich die genaue Spur der Steinbergs, aller Wahrscheinlichkeit nach haben sie bis zur Überstellung nach Auschwitz im August 1944 im Ghetto in Łódź gelebt.
Im ITS-Antrag auf Inhaftierungsbescheinigung gibt Bernhard das Datum der Überstellung nach Auschwitz mit August 1944 an. Dieses Datum fällt mit der Liquidierung des Ghettos Łódź zusammen. Am 3. September1944 wurden Cyrla und Seli vom KZ Auschwitz in das KZ Stutthof überstellt. Cyrlas (hier: Czirla) Häftlingsnummer lautete 82601. Selis (hier: Selly) 83600. Cyrla wurde am 8. November 1944 im KZ Stutthof ermordet. Für Seli Steinberg gibt es keine Aufzeichnungen mehr nach der Einlieferung. Am 9. November 1944 wurde Bernhard als Häftling B 9577 im Außenlager Tschechowitz des KZ Auschwitz im Rahmen einer Reihenuntersuchung mit “O.KW” eingestuft. Am 23. Januar 1945 wurde er ins KZ Buchenwald überstellt. Seine Häftlingsnummer lautete spätestens seitdem 119722. "Grund: Polit. Pole-Jude". Die Politische Abteilung verzeichnete ihn am gleichen Tag als Neuzugang aus dem KZ Auschwitz. Am 26. Januar 1945 wurde er vom Lagerarzt des KZ Buchenwald als “arbeits- und transportfähig” eingestuft. Am 19. März 1945 ist er auf der Transportliste für das Außenkommando Magdeburg vermerkt.
Bernhard überlebte den Holocaust .
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