Johanna Lewin kam am 9. April 1879 in Bromberg in der preußischen Provinz Posen als Tochter des jüdischen Schneiders Bernhard Lewin und dessen Ehefrau Fritze, geb. Michel, zur Welt. Sie hatte mindestens noch zwei Schwestern, die ebenfalls in der Stadt Bromberg (polnisch Bydgoszcz) geboren wurden, die etwa 120 km nordöstlich von Posen liegt: Dorothea (*1878) und Rosa (*1881). Über die Kindheit und Jugend von Johanna Lewin haben sich keine Informationen erhalten. Sie erlernte keinen Beruf.
Johanna heiratete 1899 in Bromberg den Kaufmann Sally Schmul Gedalje, geb. am 24. August 1874 in Inowrazlaw (Posen). Auch er gehörte der jüdischen Religionsgemeinschaft an. Das junge Ehepaar zog nach Berlin, wo 1900 der Sohn Bernhard und 1901 die Tochter Dorothea geboren wurden.
Seit etwa 1908 wohnte die Familie in der Esmarchstraße im Prenzlauer Berg, um 1915 zogen sie nach Wilmersdorf, wo sie zunächst im Güntzelkiez lebten. 1920 gründete Sally Gedalje mit Adolf Auser die Blusen- und Kleiderfabrik Adolf Auser & Co., die sich zunächst in der Jerusalemer Straße 31 befand. Als Mitinhaber dieser Firma hatte Johannas Ehemann ein gutes Einkommen, das der Familie einen hohen Lebensstandard ermöglichte. Um 1923 bezogen sie in der Prager Straße 26 eine 7-Zimmer-Wohnung.
Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen die Familie Gedalje. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben.
Auch die Firma von Sally Gedalje litt unter dem zunehmenden Boykott jüdischer Geschäftsleute. Sein Einkommen ging rapide zurück, so dass er die große Wohnung nicht mehr halten konnte. Etwa 1935 zog das Ehepaar Gedalje in eine Ein-Zimmer-Wohnung in der Helmstedter Straße 1. 1938 wurde das Unternehmen Adolf Auser & Co. arisiert.
Dem Sohn Bernhard, der als Vertreter tätig war, wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, so dass er 1936 mit seiner Ehefrau Herta, geb. Feldmann, nach Italien auswanderte. Die Tochter Dorothea, verheiratete Schulz, emigrierte nach Südamerika.
1939 war das Ehepaar Gedalje gezwungen, zu Johannas verwitweter Schwester Dorothea Joffe in die Jakobikirchstraße 8 in Kreuzberg zu ziehen. Auch die ledige Schwester Rosa Lewin zog dort mit ein. Die Jakobikirchstraße befindet sich unweit des Moritzplatzes und verläuft zwischen der Jakobi-Kirche und der Ritterstraße. Keins der 10 Häuser, die einst diese Straße säumten, existiert noch. Sally Gedalje verstarb dort am 4. Januar 1940.
Johanna Gedalje lebte zuletzt in der Nassauischen Straße 13-14 in Wilmersdorf. Sie wurde am 1. November 1941 vom Bahnhof Grunewald mit dem 4. Osttransport in das Ghetto Lodz deportiert. Dort fand sie Unterkunft in der Sulzfelder Straße 40/34. Die Lebensbedingungen im Ghetto waren unmenschlich. Die Bewohner mussten Zwangsarbeit leisten, litten an Unterernährung, starben massenhaft an Krankheiten oder erfroren im Winter. Die engen und unzureichenden Wohnverhältnisse sowie die trostlose hygienische Situation trugen ebenfalls zur hohen Sterberate bei.
Johanna Gedalje wurde am 10. Mai 1942 aus dem Ghetto Lodz in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) verschleppt, wo sie gleich nach der Ankunft ermordet wurde.
Ihre Schwester Rosa Lewin wurde am 12. Januar 1943 mit dem 26. Osttransport, Dorothea Joffe am 6. März 1943 mit dem 35. Osttransport nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Bernhard Gedalje war seit 1940 in Italien in verschiedenen Internierungslagern inhaftiert. Ende 1943 gelang es ihm zu flüchten und sich bis Kriegsende zu verstecken. 1949 wanderte er mit seiner Frau nach Israel aus.
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