Hertha Graetz geb. Fabian

Verlegeort
Kohlfurter Straße 46
Historischer Name
Britzer Straße 23
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
12. Juni 2024
Geboren
20. März 1890 in Berlin
Flucht
1933 Holland, 1935 Argentinien, 1945 Uruguay
Überlebt
Biografie

Hertha Fabian kam am 20. März 1890 in Berlin als Tochter des jüdischen Kaufmanns Adolf Fabian und dessen Ehefrau Martha, geb. Lewin, zur Welt. Hertha hatte noch drei jüngere Geschwister: Lothar (*1892), Kamilla (*1894) und Fritz (*1897). Die Familie zog innerhalb Berlins häufig um, seit 1904 wohnten sie in der Marsiliusstraße – diese Straße existiert nicht mehr, sie befand sich westlich des heutigen Strausberger Platzes. Hertha Fabian besuchte bis zu ihrem 15. Lebensjahr die Margaretenschule in der benachbarten Ifflandstraße, eine städtische höhere Mädchenschule. Sie erlernte danach das Schneiderhandwerk.

Hertha Fabian heiratete am 31. Mai 1917 den Kaufmann Harry Graetz, geb. am 6. Mai 1890 in Berlin. Auch er gehörte der jüdischen Religionsgemeinschaft an. Das junge Ehepaar wohnte zunächst bei Herthas Eltern in der Marsiliusstraße 25 – Harry Graetz nahm im Rang eines Sergeants am Ersten Weltkrieg teil. 

Am 9. März 1918 brachte Hertha Graetz im Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde im Wedding den Sohn Günter zur Welt. Ihr Ehemann wurde nach dem Ende des Krieges im November 1918 aus der Armee entlassen. Die kleine Familie zog in die Blumenstraße 7, doch sie sollte nur kurze Zeit bestehen: Harry Graetz starb im Alter von nur 30 Jahren am 18. April 1921 in Dr. Wieners Heilanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Bernau an einer Krankheit, die er sich im Krieg zugezogen hatte.

Hertha Graetz war nun verwitwet und alleinerziehende Mutter eines 3-jährigen Sohnes. Sie zog zurück zu ihren Eltern in die Marsiliusstraße 25 und betrieb in der Blumenstraße 7 eine Betriebswerkstatt für Damenkleider, in der sie acht Arbeiterinnen beschäftigte. Sie belieferte Geschäfte, arbeitete aber auch für private Kunden. Der Schneidereibetrieb sicherte Mutter und Sohn ein ausreichendes Einkommen.

1926 zog Hertha Graetz mit ihrem Sohn und ihrer Mutter – ihr Vater war 1922 verstorben – in eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Britzer Straße 23 (heute Kohlfurter Straße 46) in Kreuzberg. Dort starb Martha Fabian am 24. März 1928. 

Günter Graetz besuchte seit 1926 das Luisenstädtische Realgymnasium in der Sebastianstraße. Er hatte schon vor 1933 sehr unter dem dort herrschenden Antisemitismus zu leiden, jedoch verschlimmerte sich die Lage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten so, dass der demokratisch gesinnte Direktor der Schule Hertha Graetz riet, ihren Sohn aus der Schule zu nehmen, „da er sonst für nichts mehr garantieren könne“. Günter Graetz ging im Juni 1933 nach der 10. Klasse vom Gymnasium ab. 

Zur selben Zeit musste Hertha Graetz den Schneidereibetrieb aufgeben und ihre Angestellten entlassen, weil der größte Teil ihrer Kundschaft nicht mehr bei einer Jüdin arbeiten lassen wollte. Sie entschloss sich daraufhin zur Auswanderung : Am 1. August 1933 verließen Hertha und Günter Graetz Berlin und begaben sich nach Amsterdam. Durch die schnelle Ausreise waren sie gezwungen, die Einrichtung der Wohnung und der Betriebswerkstatt weit unter Wert zu verkaufen.

In Amsterdam fand Hertha Graetz eine Stelle als Kleidernäherin und Günter verdiente Geld mit Gelegenheitsarbeiten. Als 1935 das Arbeitsverbot für Ausländer erlassen wurde, wurden beide entlassen. Sie entschlossen sich daraufhin erneut zur Emigration: Am 20. April 1935 legte das Schiff „Aldabi“ von Rotterdam nach Buenos Aires ab. Hertha und Günter Graetz mussten als Touristen 1. Klasse reisen, da sie, laut den damaligen Einreisebestimmungen, nur so das Visum für Argentinien erteilt bekamen – für gewöhnliche Einwanderer war das Land bereits gesperrt.

Hertha Graetz war in Buenos Aires zuerst in Stellung als Näherin, dann als Zuschneiderin und später arbeitete sie privat. Ihr Sohn fand Arbeit bei OSRAM. Günter Graetz bildete sich in Elektrotechnik und Fotografie weiter und arbeitete dann als Gehilfe bei einem Elektriker. Aufgrund der politischen Situation in Buenos Aires übersiedelten Mutter und Sohn im Februar 1945 nach Montevideo, Uruguay. 

Auch hier verdiente Hertha Graetz ihren Lebensunterhalt durch Ausführung von Näharbeiten, Günter Graetz arbeitete zunächst als Hilfselektriker, später bei einer Reklame-Firma als Fotograf. Er heiratete am 10. Januar 1949 Maria Alfonsa Altamiranda, geb. 1915 in Montevideo. Sie bekamen zwei Kinder: Alberto (*1952) und Lilián Martha (*1954). Die finanzielle Situation der Familie war sehr schwierig, da Günter Graetz als Aushilfs-Kinooperateur und mit der gelegentlichen Reparatur von elektrischen Geräten nur wenig verdiente. 

Hertha Graetz' Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend, sie starb am 20. August 1959 in Montevideo.

Herthas Schwester Kamilla war mit ihrem Ehemann, dem Musikverleger Maximilian Leichtmann, bereits 1923 nach New York ausgewandert. Ihre Brüder Lothar und Fritz Fabian waren in den 1930er Jahren nach Argentinien emigriert.