Betty Feodore Wolff wurde am 15. Juli 1863 in Berlin als älteste Tochter von Hugo und Julie Auguste Henriette Wolff geb. Seydel (1838–1911), einer alteingesessenen Berliner jüdischen Familie, geboren. Hugo Wolff (1831–1906) war Bankier und entstammte dem gehobenen Bürgertum.
Betty entschied sich für die Malerei und begann ihre Ausbildung, indem sie die Alten Meister in den zahlreichen Museen der Stadt kopierte. So zum Beispiel „Catharina Hooft mit Amme“ von Frans Hals, ein Gemälde, das heute in der Gemäldegalerie Berlin zu finden ist.
Betty sorgte außerdem dafür, dass zahlreiche Familienmitglieder Modell saßen, so auch ihre jüngste Schwester Dorothea (Dora) Hildegard Wolff und ihr Schwager.
Mit 23 Jahren nahm Betty ihr Studium bei Dr. Karl Stauffer-Bern (1857–1891) in Berlin auf und führte es für eine kurze Zeit in München an der Mal- und Zeichenschule des Münchner Künstlerinnenvereins weiter.
Sie war 25 Jahre alt, als sie ihre Gemälde zum ersten Mal an der Berliner Akademie ausstellte. Viele weitere Ausstellungen folgten.
Die Porträtistin war Mitglied im Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin, das war eine gute Ausgangsbasis für eine Karriere als Künstlerin. Der im Jahre 1867 gegründete Verein war die erste Institution Deutschlands, die die Ausbildung von Künstlerinnen vorantrieb und unterstützte. Dieser Verein wollte Frauen eine künstlerische Ausbildung ermöglichen und ihnen ein Netzwerk von Kunstmäzenen bieten, die am Erwerb der Werke unentdeckter junger Künstlerinnen interessiert waren.
Eine kaufkräftige Unterstützung fand Betty in der Bleichröder-Familie. Die Bleichröders waren eine vermögende jüdisch-deutsche Familie, deren Vorfahre Gerson von Bleichröder (1822–1893) als Finanzminister Otto von Bismarcks in die Geschichtsbücher einging. Betty malte das Porträt der Adelheid Bleichröder, die sie stickend und am Fenster sitzend darstellt.
Ebenso malte Betty das Sommerhaus der Bleichröders in Berlin-Pankow (Villa Bleichröder, Breite Straße 33). Ihre Freundschaft mit Agathe Hedwig Liepmann (1871–1933), einer geborenen Bleichröder, ist in einem Brief überliefert, der sich heute im Archiv des Leo Baeck Instituts befindet.
Erstaunlicherweise wird Bettys künstlerisches Erbe bis heute in Berlin aufmerksam wahrgenommen und registriert. Vor nur ein paar Monaten fand ich heraus, dass ein mir bisher unbekanntes Ölgemälde von Betty, das eben erwähnte Porträt der Adelheid Bleichröder, als Schenkung dem Berliner Jüdischen Museum zugekommen war.
37 Jahre lang war Bettys Atelierwohnung in der Kurfürstenstraße 126 ihr Zuhause. Das leider zerstörte Gebäude war von dem bekannten Architekten Alfred Messel erbaut worden. In unserer Familie war es als „das Atelierhaus“ bekannt.
Auch viele andere Maler fanden im Atelierhaus ihre Heimat, zum Beispiel der Maler Max Pechstein (1881–1955) und der Bildhauer Alexander Archipenko (1887–1964). Die Ateliers waren mit ihren hohen Decken sehr beliebt, denn in ihre Räume fiel genug Licht, wodurch sie sich für die Malerei und Bildhauerei besonders eigneten. 1944 brannte das Haus komplett ab.
Zu guter Letzt können wir Betty selbst zu Wort kommen lassen. Ich fand ein Gedicht von ihr in einem Gästebuch, das ihrer jüngeren Schwester Gertrud Therese Scherz geb. Wolff, meiner Urgroßmutter, kurz nach ihrer Heirat mit Ernst Adolf Scherz geschenkt wurde. Das Gästebuch von Kummerow dokumentiert die illustre Reihe der Gäste, die im Gut der Scherz-Familie zwischen 1893 und 1911 ein und aus gingen. Durch Gertrud und Ernst trafen hier preußische Großgrundbesitzer und Berliner Juden aufeinander – zwei Bevölkerungsgruppen, die später als unüberbrückbar verschieden voneinander dargestellt wurden.
Bettys Gedicht:
Vom 11.–16. April so froh
Mit schwesterlich treuem Herzen
Zu Ostern war ich in Cummerow
Bei meinen lieben Scherzen.
Betty Feodora Wolff stirbt in den frühen Morgenstunden des 1. Mai 1941 in ihrer Wohnung in der Kurfürstenstraße 126. Laut Todesurkunde erlag sie einem Schlaganfall. Das Dokument wurde von ihrer Schwägerin Helene Wolff geb. Zimmermann als Zeugin unterschrieben. Aufgrund der chaotischen Umstände in den Kriegsjahren konnten wir jedoch nie herausfinden, wo Betty begraben wurde. Im Adressbuch der Stadt Berlin von 1943 wird „Wolff, Betty Frau W 62 Kurfürstenstr. 126 T.“ noch aufgeführt.
Ein Stolperstein ehrt Bettys Leben und Werk seit dem 27. Mai 2022 in der Kurfürstenstraße 126 in Berlin-Schöneberg.
Dr. Katharina S. Feil, 1. Juli 2022
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