Paul Cramer

Verlegeort
Tempelhofer Ufer 34
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
12. Juni 2024
Geboren
22. Oktober 1882 in Frankfurt am Main
Verhaftet
von 31. Mai 1934 bis bis 31. März 1936 in Berlin
Flucht in den Tod
10. Dezember 1938 in Berlin
Biografie

Paul Cramer kam am 22. Oktober 1882 in Frankfurt am Main als Sohn des jüdischen Kaufmanns Ludwig Louis Cramer und dessen Ehefrau Selma, geb. Bonn, zur Welt. Seine Eltern hatten vor seiner Geburt bereits zwei Kinder im Säuglings- bzw. Kleinkindalter verloren: Max (1877–1880) und Bruno (1879–1879). Paul Cramers Vater handelte laut Frankfurter Adressbuch mit „Blumen, Federn und garnierten Hüten“. Die Familie übersiedelte um 1891 nach Berlin, wo sie in den folgenden Jahren an verschiedenen Adressen in der Gegend um die Kurfürstenstraße wohnte.

Paul Cramer besuchte das Falk-Realgymnasium in der Lützowstraße und absolvierte anschließend eine kaufmännische Ausbildung. Er heiratete am 28. Juli 1904 die Schneiderin Marie Gäde, geb. am 23. August 1879 in Alt Warschow (Pommern). Sie waren bereits Eltern des am 19. August 1902 in Berlin geborenen Sohns Paul. Die kleine Familie zog um 1909 von Friedrichshain, wo sie bisher gelebt hatte, nach Steglitz, das damals noch nicht zu Berlin gehörte.

Paul Cramer nahm am Ersten Weltkrieg teil. Nach Kriegsende gründete er die Besteck- und Stahlwarenfabrik Paul Cramer, Solingen und Berlin, in der u.a. Alpacca-Bestecke, Ebenholz-Bestecke, Taschenmesser, Scheren und Rasiermesser hergestellt wurden. Etwa 1920 erwarb er das Grundstück Ringstraße 20 in Berlin-Lichterfelde. In die Villa, zu der ein großer Garten gehörte, verlegte Paul Cramer seine Fabrik und seine Wohnung. Die Familie hatte einen hohen Lebensstandard. Mit dem beruflichen Erfolg ging eine private Tragödie einher: Seine Ehefrau Marie verstarb am 7. April 1921 im Alter von 41 Jahren im Gräfin-Rittberg-Krankenhaus in Lichterfelde.

Am 25. April 1925 heiratete Paul Cramer die 19 Jahre jüngere Elfriede Göbel, geb. am 24. November 1901 in Wilmersdorf, am 3. September desselben Jahres kam die gemeinsame Tochter Annemarie zur Welt. 

Ende der 1920er Jahre geriet Paul Cramer aufgrund der Betrügereien eines Geschäftspartners in finanzielle Nöte und verlor seine Besteck- und Stahlwarenfabrik sowie das Grundstück in der Ringstraße 20. Er reiste fortan als selbständiger Vertreter für Solinger Stahl- und Silberwaren im Reichsgebiet umher. Etwa 1933 bezog er mit Frau und Tochter eine 8 ½-Zimmer-Wohnung im Haus Tempelhofer Ufer 34 in Kreuzberg (das Gebäude existiert nicht mehr). 

Paul Cramer wurde am 31. Mai 1934 von der Gestapo vorgeladen. Noch am selben Tag wurde gegen ihn Haftbefehl wegen „Betruges und Meineids“ erlassen und er kam in Untersuchungshaft, da ihm die finanziellen Betrügereien seines früheren Geschäftspartners angelastet wurden. Er war in den folgenden 22 Monaten in den Gefängnissen Moabit, Plötzensee und Tegel inhaftiert. Zu einem Prozess und einer Verurteilung war es in dieser Zeit nicht gekommen. Nachdem der Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin den Vorwurf des Betruges fallengelassen hatte, wurde Paul Cramer am 28. März 1936 aus der Haft entlassen.

Seine Frau schildert nach dem Krieg in den Entschädigungsakten, dass er seelisch und körperlich nur noch ein Wrack war, als er nach Hause kam: „Sein Körper war über und über mit Wunden und Narben von Schlägen und Fußtritten bedeckt. Auf meine Fragen verweigerte mein Mann mir jede Auskunft und hat nur immer gezittert und geweint, er dürfe nichts sagen, denn er hätte unterschrieben, dass er über nichts sprechen würde.“

Auch Elfriede Cramer war nach der Verhaftung ihres Mannes stundenlang vernommen worden. Da sie nach den Rassengesetzen der Nazis „Arierin“ war, wurde auf sie Druck ausgeübt, sich von ihrem jüdischstämmigen Mann – Paul Cramer gehörte inzwischen keiner Religion mehr an – scheiden zu lassen. Doch sie weigerte sich. Das Bankkonto der Cramers wurde beschlagnahmt und nachdem die Barmittel aufgebraucht waren, vermietete Elfriede Cramer die Zimmer ihrer Wohnung.

Paul Cramer war nach der Haftentlassung jede berufliche Tätigkeit verboten – er wäre auch körperlich dazu nicht mehr imstande gewesen. Ihm drohte wegen des Vorwurfs des Meineides eine erneute Inhaftierung. Seiner Frau hatte er gesagt, dass er seinem Leben ein Ende mache, wenn er wieder vorgeladen werden sollte, „denn das, was er während der Vernehmungen und der Haft durchgemacht hätte, könnte er nicht noch einmal ertragen.“

Seine Frau schildert gegenüber dem Entschädigungsamt: „Am 10. Dezember 1938 klingelte es morgens an unserer Wohnungstür und zwei Gestapobeamte kamen, um meinen Mann wieder abzuholen. Als er im Nebenzimmer hörte, dass die Gestapo da war, ging er in sein Schlafzimmer. Ich wollte ihm nacheilen, wurde aber von den Gestapoleuten unter Beschimpfungen zurückgehalten und erst, als ein Schuss fiel, lief ich ins Schlafzimmer und brach an der Leiche meines Mannes zusammen. Die zwei Männer schlugen mich und traten mich mit Füßen. Alles was an Schmuck und Wertgegenständen noch gefunden wurde, wurde geplündert, desgleichen die Wertpapiere und unser letztes Vermögen beschlagnahmt.“

Paul Cramer wurde auf dem Parkfriedhof Lichterfelde beigesetzt.

Nach dem Tod ihres Ehemannes war Elfriede Cramer gezwungen, aus ihrer Wohnung eine Pension zu machen. Immer wieder quartierten sich Gestapoleute bei ihr ein, die sich katastrophal aufführten. Nachdem ihr zugetragen worden war, dass ihre Tochter abgeholt werden sollte, schickte sie diese im März 1945 aus Berlin fort. Das Haus Tempelhofer Ufer 34 wurde in den letzten Kriegstagen zerstört.

Paul Cramers Ehefrau, seine Tochter Annemarie und sein Sohn Paul überlebten den Krieg.