Jenny Blumenstein née Brinewitsch

Location 
Barnimstraße 12
District
Friedrichshain
Stone was laid
10 May 2023
Born
15 June 1898 in Berlin
Escape
1939 Shanghai
Survived
Biography

Jenny Brinewitsch kam am 15. Juni 1898 in Berlin als Tochter des jüdischen Zigarettenmachers Kisiel Brinewitsch und seiner Ehefrau Therese Taiba, geb. Burstein, zur Welt. Ihre Eltern stammten aus Russland und hatten 1896 in Berlin geheiratet. Jenny hatte noch vier Geschwister: Fanny (*1897), die Zwillinge Margarete und Carl Hermann (beide geb. und gest. 1901) und Mary. 

Sie besuchte von 1904 bis 1908 die Gemeindeschule in der Keibelstraße, dann für vier Jahre die Mädchenmittelschule der Jüdischen Gemeinde in der Kaiserstraße. Anschließend ließ sie sich für ein Jahr an der Handelsschule Otto Flatauer am Alexanderplatz zur Kontoristin ausbilden. Ab 1914 war sie bei verschiedenen Firmen als Kontoristin angestellt. 

Am 14. Juni 1921 heiratete Jenny Brinewitsch den Kaufmann Max van der Rhoer, geb. 1896 in Lingen. Das Ehepaar bezog eine Wohnung in der Woldenberger Straße 19 (heute Dietrich-Bonhoeffer-Straße) im Prenzlauer Berg. Dort wurde Jennys Ehemann am 24. April 1922 im Alter von nur 26 Jahren tot aufgefunden. Die Todesumstände sind unbekannt.

Am 22. Dezember 1925 heiratete Jenny van der Rhoer den Schneider Samuel Schlama Blumenstein, geb. am 15. August 1896 in Sławków (Russisches Reich). Auch er gehörte der jüdischen Religionsgemeinschaft an. Das Ehepaar bekam zwei Töchter: Dorothea (*1926) und Inge (*1928). Um 1931 zog die Familie Blumenstein in die Barnimstraße 12 (das Haus existiert nicht mehr).

Samuel Blumenstein war Inhaber einer Betriebswerkstatt zur Anfertigung von Herrenkonfektion. Er produzierte als Zwischenmeister für Herrenkleiderfabriken und beschäftigte sechs bis acht Angestellte. Auch seine Ehefrau war im Betrieb tätig: Sie erledigte sämtliche Büroarbeiten, wie Lohnberechnungen und Steuersachen, und war für die Auslieferung der fertigen Ware zuständig. Die Familie lebte in gutsituierten Verhältnissen. 

Da Juden seit 1933 zunehmend entrechtet und verfolgt wurden, versuchte das Ehepaar Blumenstein Ende der 1930er Jahre fieberhaft, ein Visum für irgendein Land – die USA, Uruguay, Paraguay, Bolivien, Palästina – zu bekommen, um Deutschland verlassen zu können. 

Ende Mai 1939 wurde Samuel Blumenstein aufgrund seiner polnischen Staatsangehörigkeit verhaftet. Er war zunächst im Polizeigefängnis am Alexanderplatz inhaftiert, wurde vom Gericht abgeurteilt und kam dann ins Gefängnis Lichtenberg. In einem Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten an Samuel Blumenstein vom 5. Juni 1939 heißt es: „Ich fordere Sie hiermit auf, dem gegen Sie erlassenen Aufenthaltsverbot vom 25.10.1938 dadurch nachzukommen, dass Sie bis zum 23.06.1939 das Reichsgebiet verlassen. Bei Nichtbefolgung dieser Aufforderung werde ich weitere Zwangsmaßnahmen anwenden.“ Das hätte KZ-Haft bedeutet.

Es gelang seiner Ehefrau schließlich, Auswanderungspapiere für Shanghai zu beschaffen und damit seine Freilassung zu erwirken. Die Familie verließ Berlin am 20. Juni 1939. Da die Auswanderung überstürzt erfolgte, mussten sie den größten Teil ihres Besitzes zurücklassen. Sie reisten über Paris nach Marseille, wo sie das Schiff „Marechal Joffre“ nach Shanghai bestiegen. 

Ende Juli 1939 kamen sie in Shanghai an, das für mehr als 20.000 europäische Juden zur letzten Zuflucht wurde. Der Großteil der Emigranten wohnte im Stadtteil Hongkew in Massenunterkünften. Die Blumensteins kamen im Flüchtlingsheim in der Chaoufoong Road 680 unter, wo Eltern und Kinder getrennt in überfüllten Schlafsälen schliefen. Sie lebten unter engen, primitiven und schlechten hygienischen Bedingungen, zudem litten sie unter dem feucht-schwülen Klima. Die Familie war auf die Unterstützung des Joint Distribution Committee, einer jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation, angewiesen. Die Versorgung mit Lebensmitteln war unzureichend, Medikamente waren knapp. Alle Familienmitglieder litten häufig an Ruhr und anderen Krankheiten, sie verloren aufgrund der Mangelernährung ihre Zähne. Samuel und Jenny Blumenstein waren die meiste Zeit zu krank, um einer Arbeit nachzugehen. 

Die Lebensbedingungen verschlechterten sich nochmals, als die Japaner in Hongkew das Shanghaier Ghetto einrichteten, das vom 18. Mai 1943 bis 15. August 1945 bestand. Diese „designated area“ war zwar nicht hermetisch abgeriegelt, aber zum Verlassen des Ghettos war ein Passierschein notwendig. Nach Kriegsende blieb die Lage in China kritisch, weil sich die Auseinandersetzungen zwischen den chinesischen Nationalisten und Kommunisten wieder verstärkten. 

Die Tochter Dorothea heiratete 1946 in Shanghai, emigrierte mit ihrem Ehemann ein Jahr später in die USA und ließ sich in New York nieder. Auch Tochter Inge erhielt ein Visum und konnte ihrer Schwester Anfang 1948 folgen.

Samuel und Jenny Blumenstein konnten aufgrund ihrer polnischen Staatsangehörigkeit erst im Mai 1950 in die USA auswandern. Sie zogen zu ihren Töchtern nach New York. Anfangs waren sie auch hier auf Unterstützung angewiesen. Die Angst und Aufregung während der Nazi-Zeit in Deutschland und die schlechten Lebensbedingungen in Shanghai hatten ihre physische und psychische Gesundheit dauerhaft beeinträchtigt, so dass sie nicht durchgehend arbeiten konnten. Samuel Blumenstein fand bald eine Anstellung in einer Schneiderei, seine Frau arbeitete zunächst als Krankenpflegehelferin, später als Packerin und Lageristin in einer Fabrik. Sie lebten unter prekären Verhältnissen in Long Island City im New Yorker Stadtteil Queens. In den 1960er Jahren folgten sie ihrer jüngeren Tochter nach Los Angeles.

Jenny Blumenstein starb am 10. April 1976 in Los Angeles, ihr Ehemann war bereits 1973 verstorben.

Jennys Mutter Therese Brinewitsch starb am 24. Februar 1942 im Jüdischen Krankenhaus Berlin an einem Schlaganfall. Ihr Vater Kisiel Brinewitsch war bereits 1917 verstorben.

 Jennys Schwester Fanny und ihr Ehemann Eugen Miloslawski waren am 11. August 1942 mit dem 41. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert worden. Eugen Miloslawski wurde am 16. Oktober 1944 nach Auschwitz verschleppt und ermordet, seine Ehefrau erlebte die Befreiung des Ghettos Theresienstadt. Sie wanderte nach dem Krieg in die USA aus.

Ihre Schwester Mary war 1938 nach Palästina ausgewandert, emigrierte später ebenfalls in die USA, kehrte aber nach einigen Jahren nach Israel zurück.