Ludwig R. Simon

Location 
Tietzenweg 54
District
Lichterfelde
Stone was laid
21 June 2022
Born
02 February 1863 in Berlin
Occupation
Bankier
Deportation
on 08 September 1942 to Theresienstadt
Murdered
23 December 1942 in Theresienstadt
Biography

Ludwig Simon wurde am 2. Februar 1863 in Berlin geboren. Sein Vater war der jüdische Mathematiker und Mathematikhistoriker Max Simon (1844-1918). Mit seiner Frau Henriet(t)a (geb Reich) und den Söhnen Michael Heinrich (1858-1930), Ludwig und Gotthold Ephraim (1864-1938) lebte er in Berlin, zuletzt als Mathematiklehrer und stellvertretender Direktor am Lehrerbildungsseminar der Jüdischen Gemeinde. Im Jahr 1871 siedelte die Familie nach Straßburg/Westpreußen um, wo Max Simon bis 1912 an der Universität lehrte.

Über die Kindheit und Jugend Ludwig Simons ist sonst nichts weiter zu ermitteln. Sicher ist, dass er eine kaufmännische Ausbildung erfuhr. 1906/1907 gründete er im Berliner Bankenviertel um den Gendarmenmarkt die Privatbank Ludwig R. Simon in der Mohrenstraße 52/53, die später in die Taubenstraße 47 übersiedelte. 

Mit seiner im Jahr 1896 geheirateten Frau Bianca geb. Grünfeld (geb. 3.10.1873 in Landeshut/Schlesien, heute poln. Kamienna Góra) und seinen beiden Kindern, Johanna Dorothea (später Hanne bzw. Jeanette verh. Georg/e, geb. am 9.11.1897 in Berlin) und Franz Wolfgang (später Ferentz, geb. 6.10.1905 in Berlin) lebte er augenscheinlich noch bis ca. 1909 in Charlottenburg, Knesebeckstraße 20/21, später in der Bahnhofstraße 15 in Lichterfelde, mit der Geschäftsadresse Behrensstraße 47. Nach dem Kauf der Villa im Tietzenweg lebte die Familie seit 1918 in der Dahlemer Straße 64, die im Jahr 1936 umbenannt wurde; die Adresse lautetet seither Tietzenweg 54.

Bianca Simon war eine Tochter von Falk Valentin Grünfeld, der mit der Eröffnung eines Sortiment- und Manufakturwarengeschäfts in Landeshut/ Schlesien den Grundstein für die Landeshuter Leinen- und Gebildeweberei F.V. Grünberg gelegt hatte, und dessen Frau Johanna geb. Schück. Mit der Gründung eines Versandgeschäftes im Jahre 1873 entwickelte sich das Unternehmen zu einem der ersten großen Postversandfirmen. Seit 1889 unterhielt F.V. Grünberg ein Ladengeschäft in Berlin, Leipziger Straße 20-21, das seine Söhne zu einem der bekanntesten Geschäftshäuser ausbauten. 1924 entstand ein Zweitgeschäft in Köln und 1928 wurde schließlich das markante moderne zweite Geschäftshaus in Berlin am Kurfürstendamm 227/Ecke Joachimsthaler Straße eröffnet. Im Jahr 1938 musste die Familie nach bereits im April 1933 beginnenden Boykottmaßnahmen und Arisierungsversuchen das Unternehmen mit Filialen an die Berliner Leinenfirma Max Kühl zwangsweise und unter Preis verkaufen. Die beiden älteren Brüder Biancas, Ludwig (geb. 21. 5.1864 in Landeshut) und Heinrich (10.4.1865 in Landeshut), die seit 1891 Mitinhaber des florienenden und anwachsenden Unternehmens waren, und seit dem Tod des Firmengründers im Jahr 1897 die Geschäfte weiterführten starben bereits 1929 bzw. 1936. Danach übernahm der Sohn Heinrichs, Fritz Vinzenz zusammen mit Max Grünfeld und Franz Viktor, einem Sohn Ludwigs, die weitere Unternehmensleitung bis zum zwangsweisen Verkauf. Dem jüngsten seit 1910 mit geschäftsführenden Bruder Max (geb. 27.1.1884 in Landeshut) gelang mit seiner Familie wie ebenso seinen Nichten und Neffen noch rechtzeitig die Flucht aus Berlin nach Palästina bzw. in die USA. Über eine Nichte Biancas, Edith Grünfeld, Tochter des ältesten Bruders Ludwig, war man durch deren Heirat mit Georg Tietz mit der gleichnamigen Unternehmerfamilie verwandt. 

Im Jahr 1920 heiratete die Tochter Ludwig und Bianca Simons, Johanna Dorothea, Manfred Cohn, den am 22.10.1893 in Berlin geborenen jüngsten Sohn des Wollwarenfabrikanten Carl Cohn (1854-1936) und dessen Frau Felicia geb. Sachs (1861-1907), einer Tante der Schriftstellerin und Lyrikerin Nelly Sachs. Nach dem Tod Felicias heiratete Carl Cohn deren Schwägerin Anna Sachs geb. Collin. Seine Schwester Mirjam Mary heiratete später den Schriftsteller Oskar Maria Graf; der ältere Bruder Ludwig Sachs war bereits im Kindesalter verstorben.

Augenscheinlich lebten Johanna Dorothea und Manfred Cohn eine gewisse Zeit ebenfalls im Tietzenweg. Allerdings war Manfred Georg noch bis 1931/32 zugleich unter der Adresse seiner Stiefmutter und dem ehemaligen Sitz der Wollwarenfabrik seines verstorbenen Vaters, in der Bachstraße 10 b c/o Cohn, gemeldet.

1921 wurde der Sohn Frank, 1924 die Tochter René geboren. Der promovierte Jurist Manfred Georg Cohn, (seit 1913 Manfred Georg, seit 1939 Manfred George) war als renommierter Journalist Mitarbeiter des Ullstein und des Mosse Verlags und publizierte zahlreiche Film- und Theaterkritiken. Bereits im Jahr 1933 emigrierte er mit seiner Frau in die Tschechoslowakei, nach Prag, wo er die Monatsschrift „Deutsche Revue“ gründete. Ob die beiden Kinder Frank und René bereits mit den Eltern nach Prag gingen, ist nicht bekannt. Als sicher kann aber angenommen werden, dass beide Kinder im Umfeld der Reformpädagogin Anna Essinger lebten, vielleicht auch auf deren Schule/Landschulheim in Herrlingen gegangen sind. Im Jahr 1938 emigrierte die Familie, zunächst Manfred allein, dann seine Frau mit der Tochter René über Frankreich in die USA. Manfred George war dort ab 1939 Chefredakteur der bekanntesten deutschen Exilzeitschrift „Der Aufbau“. Der Sohn Frank scheint bereits zu diesem Zeitpunkt in England gelebt zu haben. Es ist möglich, dass er im Zusammenhang mit Anna Essingers Überführung der Herrlinger Schule nach Bunce Court bereits dorthin fliehen konnte. Hannes Bruder Franz lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Israel. 

Ludwig Simon stand so lange wie möglich noch in engem brieflichen Kontakt mit seinen Kindern und Enkeln, doch sollte er sie nie wiedersehen.

Hanne und Manfred George blieben in den USA. Manfred George starb 1965, seine Frau 1987. Franz lebte weiter in Israel. Der Enkel Frank lebte mit seiner Familie bis zu. seinem Tod im Jahr 2020 in den USA und war als Architekt tätig, Seine Schwester René, später Renee O’Sullivan, studierte Malerei und lebte ebenfalls in den USA. 

Ab wann das Ehepaar Ludwig und Bianca Simon nicht mehr permanent ihren gemeinsamen Wohnsitz im Tietzenweg hatte, ist nicht bekannt. Ermittelbar ist nur, dass Bianca zumindest zeitweise bewusst ihren Wohnsitz in der Emser Straße 19/20 in Wilmersdorf gewählt hatte und auch oft auf Reisen war. Warum sie und ihr Mann nicht versuchten rechtzeitig wie ihre Kinder oder andere Familienangehörige Deutschland zu verlassen ist nicht bekannt. Ludwig Simons ältester Bruder, der Mathematiker, Bibliothekar und Musikwissenschaftler Heinrich Simon lebte bis zu seinem Tod 1930 in Berlin. 1904 hatte er in Danzig die Bibliothek der dortigen Technischen Hochschule eigerichtet, wechselte dann an die Königliche Bibliothek Berlin und war zuletzt bis 1923 im Vorstand der Bibliothek der Technischen Hochschule Berlin. Der jüngste Bruder, Ephraim Gotthold, war bereits 1938 an einer Krebserkrankung in Berlin verstorben. Dessen Ehefrau Cäcilie geb. Lippmann gelang noch im Jahr 1940 die Flucht nach Italien, jedoch verliert sich dort jede Spur von ihr. Die drei Sohne des Paares überlebten den Nationalsozialismus; der älteste Sohn Ernst Akiba Simon (geb. 1899), der 1988 in Jerusalem starb, wurde einer der renommiertesten israelischen Religionsphilosophen, Pädagoge und Historiker, Friedrich Max (später Fritz Michael geb. 1901) wurde israelischer Diplomat und Hans Rudolf (geb. 1908), der zunächst noch 1935 nach Frankreich fliehen konnte, dort aber 1940 interniert wurde, wurde Chemiker und lebte nach dem Krieg in den USA. Für Ephraim Gotthold, Cäcilie und deren jüngsten Sohn Hans Rudolf wurden am 30. Mai 2024 Stolpersteine im Berliner Hansaviertel, im Siegmundshof 13 verlegt.

https://www.stolpersteine-berlin.de/de/siegmunds-hof/13/ephraim-gotthold-simon

https://www.stolpersteine-berlin.de/de/siegmunds-hof/13/cacilie-simon

https://www.stolpersteine-berlin.de/de/siegmunds-hof/13/hans-rudolf-simon

Ludwig Simon lebte bis zum September 1941, dem Zeitpunkt des erzwungenen Verkaufs der Villa, im Tietzenweg. Längst waren die finanziellen Gegebenheiten für den ehemaligen Privatbankier schwierig geworden. Mit der Liquidierung der Bank 1938 fielen die Einnahmen daraus komplett fort, so dass er sich gezwungen sah, seit etwa 1934 Teile des Hauses an jüdische Mitbürger unterzuvermieten bzw. sie gegen Hilfe im Haushalt und Garten aufzunehmen. Zu den ‚Untermietern‘ gehörten in der Zeit zwischen 1939 und 1940 auch Betty und Benjamin (Benno) Sommerfeld sowie deren Enkelin Marion Lola. (für die am selben Tag Stolpersteine im Tietzenweg 54 verlegt wurden). 

Im September 1941 erfolgte der erzwungene Verkauf der Villa zu einem „Spottpreis“ an die Luftwaffenverwaltung. Das großbürgerliche Inventar, das auch zahlreiche wertvolle Musiknoten und Instrumente umfasste, unter anderem auch eine echte Stradivari Geige, wurde entweder bereits zuvor veräußert, im weitaus größten Teil aber wie auch das Guthaben, Wertpapiere, Renten und Versicherungen von der Oberfinanzdirektion „requiriert“. 

Ab 15. September 1941 lebte Ludwig Simon in einem Zimmer in der Meinekestraße 22 in spartanischen Verhältnissen. Am 2. September 1942 wurde die Vermögenserklärung „erhoben“, die ihm noch im Sammellager in der Hamburger Straße, einen Tag vor seiner Deportation nach Theresienstadt (8.9.1942), am 7.9.1942, zugestellt wurde. Der „Erlös“ aus dem am 22.10.1942 stattfindenden Verkauf des wenigen, ihm verbliebenen Inventars belief sich gerade noch auf 277,15 RM und wurde unter Abzug angefallener Gebühren, Fahrtkosten und Schreibgebühren schließlich auf 270, 15 RM veranschlagt.

Das Datum seines Todes in Theresienstadt ist der 23.12.1942

Die Tatsache, dass Bianca Simon nicht mehr durchgängig im Tietzenweg bei ihrem Mann wohnte, sondern mit anderen Adressen geführt wurde, führte schließlich dazu, dass für sie, ohne den Familienzusammenhang hergestellt zu haben, bereits am 13.3.2012 ein Stolperstein in der Mommsenstraße 58, in Charlottenburg, allerdings wohl nicht mehr an einem freiwillig gewählten Wohnort, verlegt wurde. Sie wurde am 13.1.1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. 

https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/4102

Mit dem Gedenken an Ludwig Simon wird auf diesem Wege auch seiner Frau Bianca gedacht, ihre Biographie und die Familienzusammenhänge werden benannt. 

Den heute in den USA lebenden Familienangehörigen sind die privaten Fotografien zu verdanken.

Die Verlegung des Stolpersteins für Ludwig Simon sowie für die Familie Betty, Benjamin und Marion Lola Sommerfeld erfolgte als Schulprojekt der Stolpersteingruppe A 11 der Anna Essinger Gemeinschaftsschule in Lichterfelde-West.

 

Quellen: 

ITS Arolsen [ITS]

Gedenkbuch Bundesarchiv

Berliner Adressbuch [BerAdr]

BLHA Potsdam.

Akten der Entschädigungsbehörde des Landes Berlin beim Landesamt für Bürger und Ordnungsangelegenheiten [LaBo ES]

Landesarchiv Berlin [LAB]

Datenbank: Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945 

 

Quellen zur Familie Grünfeld in Auswahl:

https://www.kreislandeshut.de/landeshut/die-juedische-gemeinde/familie-gruenfeld/

Dr. Fritz V. Grünfeld:  Falk Valentin Grünfeld und sein Werk, Berlin 1934:

https://jmb01.intranda.com/mets/grunfalk_00120302_fullpdf/grunfalk_00120302.pdf

Ders.: Das Leinenhaus Grünfeld. Erinnerungen und Dokumente. Eingel. und hrsg. v. Stefi Jersch-Wenzel, Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 12. Berlin 1967

https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/aktuelles/city-west-blog/2023/artikel.1383502.php